Die jüdischen Wege in wechselseitiger Verknüpfung mit den Wegen der Christen

Das Verhältnis des jüdischen und des christlichen Glaubens durchlief in der Vergangenheit eine komplizierte Entwicklung. Die Christen erachten sich als Fortsetzer der Geschichte Israels, Neues Testament für die Erfüllung des Alten Testaments. Jedoch wird das Christentum seitens des Judentums als Lehre erachtet, die der Thora (dem Gesetz – den Fünf Büchern Moses) widerspricht.

Das Verhältnis beider Religionen war und ist geleichermaßen verknüpft wie kompliziert, und zwar in allen Ländern der Welt, somit auch in Böhmen und in Mähren. Der Beginn der Anwesenheit der Juden auf unserem Gebiet wird bereits mit der römischen Zeit datiert, als jüdische Kaufleute mit ihren Karawanen hier entlangzogen. Die ersten urkundlichen Erwähnungen der jüdischen Besiedlung stammen jedoch erst aus dem 10. Jahrhundert. Wohl am bekanntesten ist der Bericht des jüdisch-arabischen Kaufmanns Ibrahim ibn Jakob aus dem Jahre 965. Damals begannen die Juden, Siedlungen in Prag, später auch in anderen Städten zu gründen. Die Siedlungen waren bis zu einem gewissen Maße autonom, wurden in eigener Selbstverwaltung geführt, an deren Spitze Kenner des religiösen Rechtes standen. 

 

In den Jahren 1096 und 1097 kam es in Prag im Zusammenhang mit dem ersten Kreuzzug zu den ersten Pogromen gegen die Juden. Ihre Stellung verschlechterte sich weiter nach den Laterankonzilen zur Wende des 12. und 13. Jahrhunderts. Es wurde die Segregation der Juden von der christlichen Bevölkerung verfügt, die Möglichkeiten des Broterwerbs wurden ihnen lediglich auf den Handel und das Finanzwesen beschränkt, und sie wurden in Ghettos gepfercht. Diese kirchliche Anstiftung zur Unverträglichkeit der Christen gegenüber den Juden mündete in physische Angriffe auf die jüdische Bevölkerung, sodass Papst Innozenz IV. schließlich Bullen erließ, die die Gewaltanwendung gegen die Juden verboten. Die durch die Diaspora erfahrenen Israeliten ahnten jedoch, dass ihnen die Verfügung des Papstes keine Sicherheit gewährleistet. Daher suchten sie Schutz beim Herrscher. 
 

Zunächst kam ihnen Václav (Wenzel) I., später Přemysl Ottokar II. entgegen, der im Jahre 1254 die Privilegien Statuta Judaeorum herausgab. Hiernach wurden die Juden zum königlichen Besitz und jedweder Angriff auf sie oder ihr Vermögen war ein Angriff auf den König. Zugleich durfte sie niemand mit Gewalt zur Taufe zwingen. Für dieses „Privileg“ mussten die Juden Steuern zahlen und dem Herrscher Darlehen gewähren. Im 13. Jahrhundert ließen sich die Juden zunehmend nicht nur in Prag nieder, sondern auch in Brünn, Olomouc, Jihlava, Litoměřice oder Příbram. Sie errichteten geschlossene Siedlungen, was religiöse und auch politische Gründe hatte. Sie lebten in religiöser und kultureller Gemeinschaft, der Herrscher hatte die Übersicht über sein „Vermögen“. In den Siedlungen entstanden Synagogen und Schulen, zumeist außerhalb der Stadtmauern wurden jüdische Friedhöfe angelegt.
 

Im Verlaufe der Jahrhunderte wurden die Juden aus den böhmischen Landen mehrmals vertrieben, mehrmals kehrten sie zurück, einige Male mussten sie sich gegen Pogrome zur Wehr setzen. Die meisten Herrscher nahmen jedoch weiterhin ihre – vor allem finanzielle – Hilfe in Anspruch. 

 

Unter dem Schutz des Golems

Ein markanter Zeitraum wurde für die böhmischen und mährischen Juden das 16. Jahrhundert, das im Zeichen der überwiegenden Toleranz stand. Es entstanden neue jüdische Synagogen, stärker wurden die Zentren (Prag, Mikulov) und es entstanden neue. Zu jener Zeit lebte auch der bedeutende Denker und Pädagoge, der Rabbiner Jehuda ben Becalel, genannt Löw oder Maharal. Mit seiner Gestalt sind die Legenden von der Gestalt des Golems verbunden, der die Juden vor Pogromen schützen sollte. 
 

Eine größere Freiheit für die jüdische Bevölkerung ermöglichte die Zeit der Aufklärung, und vor allem Kaiser Josef II., der die Kennzeichnung der Juden aufhob und ihnen eine Universitätsbildung erlaubte. Zugleich schränkte er jedoch die Befugnisse der jüdischen Selbstverwaltung ein und hob auch nicht die Toleranzsteuer auf, die Maria Theresia als Zahlung für die Möglichkeit, in den böhmischen Landen zu leben, eingeführt hatte. Josef II. wollte nämlich die Juden in die Dienste des Staates integrieren. 
 

Alle diese Änderungen regten die jüdische Bevölkerung zur Assimilation an. Allerdings waren sich die Juden in dieser Frage nicht einig. Im 19. Jahrhundert bildeten sich Gedankenströmungen heraus. Die überwiegende Mehrheit der Juden bevorzugte die Anpassung und die Annäherung an die tschechische und deutsche Kultur. Aus ihnen wurden Tschechen und Deutsche jüdischer Konfession. Unter ihnen wurden viele Architekten, Wissenschaftler, Schriftsteller berühmt (u. a. Max Brod oder Franz Kafka). 
 

Im Gegensatz hierzu beharrten die Zionisten auf die nationale und kulturelle Eigenständigkeit der Juden. Beide Strömungen bildeten Vereine und strebten nach einer weiteren Liberalisierung ihrer Rechte. Im Revolutionsjahr 1848 erlangten die Juden das Recht der freien Bewegung, der Eheschließung, mussten keine Toleranzsteuer mehr bezahlen. Völlig gleichberechtigt waren sie jedoch erst mit der sog. Dezemberverfassung aus dem Jahre 1867. 
 

Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts bis zum Jahre 1939 entstanden neue Synagogen, die in den damals beliebten Stilen gebaut wurden – Romantik, Neugotik, Neurenaissance, Funktionalismus. Auf unserem Gebiet gab es herausragende jüdische Architekten und Baumeister (Ernst Wiesner, Bedřich Feuerstein, Otto Eisler, František Zelenka). Einigen von ihnen gelang es, vor den Nazis u. a. in die USA zu flüchten und dort den Ruhm der tschechischen Architektur zu verbreiten.
 

Ab dem Beginn der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts kam es insbesondere im ukrainischen Odessa, jedoch auch in zahlreichen anderen Städten zu vielen Pogromen, die allmählich bis in das 20. Jahrhundert reichten. Dieser Antisemitismus brachte einige Juden auf die Idee der Erneuerung eines jüdischen Staates, wo es möglich war, in Ruhe und Frieden zu leben. Der Antisemitismus kulminierte insbesondere in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Den Holocaust, hebräisch Shoa, überlebten an die 80 000 böhmischen, mährischen und schlesischen Juden nicht. Die Überlebenden erwartete später Unterdrückung auch seitens des kommunistischen Regimes.
 

Nach dem Jahre 1989 wurden in der Tschechoslowakei mehrere jüdische Gemeinden erneuert, die ihre religiösen und kulturellen Aktivitäten wieder frei ausüben können. Gegenwärtig gibt es in der Tschechischen Republik 10 jüdische Gemeinden, die in der Föderation der jüdischen Gemeinden integriert sind. Zum jüdischen Glauben bekennen sich ungefähr 4000 Personen.