Wege der Architekten, der Bauhütten und der böhmischen Könige

12.–13. Jh.

Ein herausragendes Kapitel des Hochmittelalters ist das „Zeitalter der gotischen Kathedralen“, das im Abendland sowie bei uns von der privilegierten Stellung der geistlichen Macht, der christlichen Kultur und der Demut der weltlichen Herrscher gegenüber der Kirche zeugte. Das Christentum fand gemeinsam mit dem gotischen Stil eine Heimstatt auf dem böhmischen und mährischen Lande. Die Entwicklung und der Aufschwung des Böhmischen Königreiches im Mittelalter wurden durch die überaus reichen Silbervorkommen in Böhmen angeregt. Die Suche nach „Gottes Ruhm“ bestand jedoch nicht nur in den Kreuzzügen, sondern auch in der Fürsorge um die Bedürftigen und Armen, wie zwei edle Frauen unter Beweis stellten, die Prinzessin Hl. Anežka Přemyslovna (Hl. Agnes von Böhmen) und die Hl. Zdislava von Lämberg.

Die weitere Vervollkommnung der Mathematik, der Geometrie und des Bauwesens, die Übersetzung vieler griechischer und arabischer Werke, die zunehmende Macht der Kirche, jedoch auch die „Wiederentdeckung der Natur“ brachten einen neuen Stil mit sich – die Gotik, die nicht die Statik besiegen wollte (wie im romanischen Stil), sondern mit ihr zusammenarbeitete, damit in wechselseitiger Symbiose majestätische Kathedralen emporwachsen konnten – die „Flaggschiffe“ des gotischen Stils. Eine derartige Zusammenarbeit ermöglichte das Entstehen großer, mit Bleiverglasungen verzierter Kathedralfenster, die eine weitere Möglichkeit darstellten, Geschichten mittel Bilder zu erzählen (Lehre der Kirchenväter und der Konzilien). Und so konnte die Kathedrale (und ihr gemäß auch die gotischen Kirchen, Kapellen und Klostergebäude ein Abglanz des „himmlischen Jerusalems“, der heiligen und ewigen Stadt Gottes werden. 
 

In der gotischen Kunst führte der Weg zu Gott nicht über die Symbole (romanische Kunst), sondern vermittels der Lebensrealität, die doch das Abbild der himmlischen Realität, ähnlich wie der Mensch das Abbild Gottes ist. Auch aus diesem Grunde wurde die gotische Bildhauerei nicht nur als Bestandteil des Bauwerkes wahrgenommen, indem sie sich voll verselbstständigte, wobei sich Gestalten realen Vorlagen immer näherkamen. Über die gotischen Wege in Böhmen und Mähren kamen zunächst die Zisterzienser – die „Missionare der Gotik“ – und dann die Bauhütten mit ihren Meistern und kühnen Plänen (z. B. die berühmte Hütte des Peter Parler). 
 

Gotischen Denkmälern, die ihre Vorbilder vor allem in Frankreich und Deutschland hatten, können wir insbesondere in der Hauptstadt Prag, allerdings auch in zahlreichen weiteren Städten Böhmens und Mährens begegnen, und zwar nicht nur in den königlichen Städten (Kolín, Kutná Hora / Kuttenberg, Jihlava / Iglau, Plzeň / Pilsen, České Budějovice / Böhmisch Budweis, Olomouc / Olmütz, Znojmo / Znaim), sondern auch in den Klöstern der Prämonstratenser (in Teplá / Tepl – erstes gotisches Bauwerk) oder der Zisterzienser (Vyšší Brod / Hohenfurth und Zlatá Koruna / Goldenkron). 
 

Die gotische Architektur verwurzelte auch auf dem böhmischen Lande dank der erhöhten Anstrengungen beim Bau der Kirchen (z. B. Kirchen um Lipnitz). Sie entstanden gemeinsam mit den Pfarren unter kirchlicher Verwaltung, die zu jenem Zeitpunkt der weltlichen überlegen war. Ähnlich wir anderswo in Europa siegte auch hier im zentralen Streit des Mittelalters zwischen der weltlichen und kirchlichen macht, ob Bischöfe und andere kirchliche Würdenträger durch den König oder durch die Kirche ernannt werden (sog. Kampf um die Investitur), die Kirche, als der Prager Bischof Ondřej (Andreas von Guttenstein) im Jahre 1222 mit Přemysl Ottokar I. das „Große Privilegium der böhmischen Kirche“ vereinbarte.

 

Das Böhmische Königreich

Přemysl musste dieses Zugeständnis nicht allzu belasten – dank der „Goldenen Sizilianischen Bulle“, die durch den Kaiser bereits 10 Jahre früher erlassen worden war, erlangten die Přemysliden die königliche Krone auf dem Erbwege. Der Einfluss des Böhmischen Königreiches nahm ständig zu, nicht zuletzt dank der Entdeckung der Silbervorkommen bei Kutná Hora (Kuttenberg), seinerzeit die reichsten in ganz Europa. Böhmen erlebte unter dem Taktstock eiserner und goldener Könige eine „silberne“ Ära der mittelalterlichen Kultur, der gotischen Architektur und der Entwicklung vieler Städte, Burgen und Dörfer. Bei den meisten Gemeinden in Böhmen und Mähren stammen die ersten urkundlichen Erwähnungen gerade aus jener Zeit. Im 13. Jahrhundert kamen nach Böhmen neue Orden: die Franziskaner mit dem Armutsideal, die Dominikaner mit der Mission, die Rechtgläubigkeit der katholischen Kirche zu behüten.
 

Der wachsende Einfluss und Reichtum der Herrscher aus dem Geschlecht der Přemysliden standen in Kontrast zur Geschichte der jüngsten Tochter des böhmischen Königs Přemysl Ottokar I. und Konstanze von Ungarn, der Prinzessin Anežka (Agnes), die sich nach dem Vorbild der Elisabeth von Thüringen entschied, ihr Leben der Fürsorge um die Kranken und Bedürftigen zu weihen. Sie gründete in Prag das Spital des Hl. Franz und wurde Oberin des neuen Klosters der Klarissen. Für den Rest ihres Lebens, das sie mit uneigennütziger Hilfe, Liebe und Demut ausfüllte, ließ sie sich nur „ältere Schwester“ nennen. 
 

Nicht zufällig schlug den gleichen Weg auch eine andere edle Frau ein, Zdislava von Lämberg. Obwohl sie vermählt war und vier Kinder erzog, beteiligte sie sich auf ihrem Dominium energisch an der Errichtung der Klöster und des Spitals in Turnov (Turnau) und in Jablonné v Podještědí (Deutsch-Gabel). Beide Frauen gaben ein Beispiel, dass Vermögen nicht vor allem ein Instrument zur Erlangung politischer Macht, sondern zu Taten der Liebe und Barmherzigkeit sein sollte.

Wichtige Termine

1147 – 
2. Kreuzzug (die Beteiligung der tschechischen Prinzen unter Vladislav II.)
um 1173 – 
ausgehend von Petr Valdes die Valdenserbewegung
im 12. Jh. – 
Gründung der westeuropäischen Universität
um 1190 – 
3. Kreuzzug
1204 – 
4. Kreuzzug
1209 – 
Erlaubnis, den Franziskanerorden von Franz Asissi zu gründen
1209-1229 – 
Strafexpedition gegen die Albigenser im Südwesten Frankreichs
1267-1273 – 
der heilige Thomas von Aquin verfasst seine Arbeit „Summa Theologica“
1232 – 
Gründung der Inquisition für die Suche nach Ketzern