Wege der aufgeklärten Toleranz und der Religionsfreiheit

18.–19. Jh.

Nach der Zeit der religiösen Konflikte und Kriege, in deren Verlauf die Machtposition der katholischen Kirche (insbesondere des Jesuitenordens) und des Herrscherabsolutismus wuchs, brach in Europa das Zeitalter der aufgeklärten Vernunft, des Bewusstseins der nationalen Identität, der Bürgerschaft auch mit dem Streben nach der Freiheit und Gleichheit aller Menschen an. Die Französische Revolution diente ab dem Jahre 1789 allen Herrschern als Warnung, die Lebensverhältnisse der einfachen Menschen zu verbessern, die immer noch wie in der Zeit des Mittelalters in Unfreiheit und Hörigkeit lebten. Hiermit gab es in vielen Ländern Bemühungen um Aufklärungsreformen des Staates, der Institutionen und der Gesellschaft, bei uns in der Zeit der Herrschaft Josefs II. Die Hauptkraft der Gesellschaft sollte der gebildete, arbeitsame und ehrenhafte Bürger sein.

Die Auflösung der Persönlichkeit im mystischen Erkennen Gottes wurde nach zweihundertjähriger „Herrschaft“ des Barocks von der Rationalität, Individualität, der Nüchternheit des Klassizismus und des aufgeklärten Verstandes – von der Epoche namens Aufklärung – abgelöst. Diese Atmosphäre brachte sowohl den Widerstand gegen die vorherige „jesuitische“ Ära, als auch eine religiöse Toleranz mit sich, die vor allem auf eine wirtschaftlich starke und gebildete Bevölkerung für die Errichtung des Staates bedacht war. 

 

Toleranz, somit Duldung

Auf böhmischem Gebiet kam es häufig zu Volksunruhen und Forderungen nach einer religiösen Toleranz, die oftmals durch Wellen der Rekatholisierungsbestrebungen provoziert wurden. Daher erließ Josef II. im Jahre 1781 das Toleranzpatent mit der Absicht, die heimlichen Protestanten ans Licht zu holen, sie in die Gesellschaft zu integrieren und mit ihnen besser ringen zu können. Das Dokument brachte die Toleranz gegenüber der lutherischen, reformierten, griechisch-katholischen und jüdischen Konfession. Sich zur Tradition der böhmischen Reformation zu bekennen, war aufgrund der Furcht der Monarchie vor einem allzu starken Anwachsen des nationalen Selbstbewusstseins nicht möglich. 
 

Mit der großen Welle der Anmeldungen zu nichtkatholischen Konfessionen hatten die Behörden jedoch anfänglich nicht gerechnet, sodass die Verbreitung der Nachricht vom Patent bald durch viele Gegenmaßnahmen ergänzt wurde, die den Anmeldungen in einigen Regionen (z. B. in Südwestböhmen) Einhalt gebot. In Ostböhmen, im Hochland, in der Walachei und in Südmähren entstanden jedoch die sog. Toleranzgemeinden mit ihren Kirchlein, Pfarren und Schulen. 
 

Die berufenen Pfarrer durften lediglich aus der österreichischen Monarchie stammen, sodass wir interessante Schicksale vor allem reformierter Gemeinden kennen, die die Pfarrer aus Ungarn kamen, zu Beginn häufig ohne Kenntnis der tschechischen Sprache (die arme Landbevölkerung evangelischen Bekenntnisses beherrschte keine Fremdsprachen). Auf der anderen Seite waren viele von ihnen adeliger Abstammung und vermochten, mit dem Adel und den Behörden über die Erlaubnis zu verhandeln, evangelische Gemeinden zu gründen und Kirchen zu erbauen. 
 

Bestandteil der josephinischen Reformen war die massive Auflösung der Klöster, die nach aufklärerischer Auffassung keine für die Gesellschaft nützlichen Institutionen (Krankenhäuser, Schulen) betrieben und sich vor allem der Kontemplation widmeten. Aus den Erträgen der aufgelösten Klöster wurde jedoch ein gründliches und durchdachtes Netz katholischer Pfarren errichtet. 
 

Es wurden ungefähr 1700 neue Pfarren gebaut, insbesondere in den armen und abgeschiedenen Gegenden, und zwar so, dass jede Gemeinde mit mindesten 700 Leuten eine Pfarre und es niemand länger als eine Wegstunde zur Kirche hatte. Der Glaube und die Kirche sollten eines der Instrumente des Aufbaus der Gesellschaft sein und nicht abseits und außerhalb des Geschehens stehen. Die Geistlichen sollten nicht mehr in separaten und von der staatlichen macht unkontrollierten Klöstern, sondern vor allem unter dem üblichen Volk leben, die Pfarre und die öffentlichen Verzeichnisse (Matrikel) verwalten. Das traditionelle Bild des Dorfes mit der Kirche und der Pfarre, das alle Freuden und auch die Trauer der einfachen Menschen erlebte, ist vor allem eine Konsequenz eben der josephinischen Reformen. 
 

Durch ihren Erfindungsgeistes bei der Umgehung der „Toleranzeinschränkungen“ in Gestalt evangelischer Gebetshäuser (siehe Geschichte der eisernen Federn der evang. Kirche in Vanovice anstelle der untersagten Glocken) sowie bei den Verhandlungen mit den Behörden und dem Adel über die Genehmigung der Gründung konkreter Gemeinden wurden die reformierten Pfarrer aus Ungarn berühmt. Die Gleichstellung aller nichtkatholischen Konfessionen kam erst im Jahre 1861, als es das Protestantenpatent den Nichtkatholiken praktisch ermöglichte, in das öffentliche Leben einzutreten oder sich auch erstmals offiziell als Bürgers ohne Religionsbekenntnis zu bezeichnen.
 

In der Architektur nach der Zeit des Klassizismus erfolgte die romantische Anbindung an das Vermächtnis der alten Stile – der romanischen Architektur, der Gotik und der Renaissance. Die beunruhigenden Wellen der Revolutionen des Jahres 1848 inspirierte den Menschen zur Suche nach den Wurzeln der „sorglosen Kindheit“ und des Nationalbewusstseins der Gesellschaft durch den neoromanischen, neugotischen und Neurenaissancestil. Das nationale Erwachen wurde durch katholische (Josef Dobrovský) sowie evangelische (František Palacký) Denker angeregt. 
 

Auf das erregte Klima jener Zeit, welches neue Ideenrichtungen und gesellschaftlich-politische Systeme brachte, reagierte das katholische Erste Vatikanische Konzil im Jahre 1870. Auf das Streben der Moderne nach Autonomie des Menschen reagierte es mit zwei Dogmen über die Möglichkeit der Erkenntnis Gottes durch rationale Mittel (Dei filius) und über das päpstliche Primat, und damit auch die Unfehlbarkeit (Pastor aeternus). Die Ergebnisse des Konzils, das aufgrund des preußisch-französischen Krieges unterbrochen werden musste, verstanden die Verfechter der Moderne als Reaktion gegen ihre Ansichten. Die modernistisch denkenden Katholiken gründeten die sog. Altkatholische Kirche. Auf unserem Gebiet initiierten das Konzil und die anschließende Atmosphäre in der katholischen Kirche die Entstehung lokaler Ableger der Orthodoxen Kirche und später auch der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche. 

Wichtige Termine

1762-1796 – 
Regierung der Katharina der Großen in Russland
1773 – 
Auflösung des Jesuitenordens
1776 – 
Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika
1789 – 
Große Französische Revolution
1792 – 
Republik Frankreich
1804 – 
Napoleon französischer Kaiser, Napoleanische Kriege/dd>
1813 – 
Napoleon besiegt Leipzig
1815 – 
Napoleon Sieg bei Waterloo (Tausendjähriges Reich)
1825 – 
Aufstand der Dekabristen in Russland
1825 – 
1. Eisenbahn in England
1848 – 
Februar-Revolution in Frankreich, Reaktionen in Österreich, Italien und Deutschland
1861 – 
Krieg zwischen Nord- und Südamerika
1870 – 
Deutsch- Französischer Krieg