Wege der modernen Gesellschaft, des Staates und des Christentums

1914–1939

Der blutige Konflikt des Ersten Weltkrieges (1914–18) in Europa beschleunigte die Entwicklung vieler geschichtlicher Trends. Der Untergang bzw. die Neugeburt von Staatsgebilden, die Entstehung von Nationalstaaten, die größere Freiheit und mehr Rechte für den Menschen, das Ende aller Einschränkungen in der Religion sind die Grundsteine der modernen Gesellschaft, auf die auch das heutige Europa baut. Der grausame Verlauf des Stellungskrieges war ein gesamtgesellschaftlicher Schock. Für die Kultur und auch für die Religion brachte dies neue Impulse und Wege. Für die böhmischen Lande die neue Republik, für die tschechischen Christen auch die Entstehung neuer Kirchen.

Der Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie, die besiegte Macht des Ersten Weltkrieges war, brachte am 28. Oktober 1918 die Gründung der Tschechoslowakischen Republik. Führende Repräsentanten des Staates wurden Persönlichkeiten, die über lange Zeit die Gründung der eigenständigen Tschechoslowakei angestrebt hatten: der ehemalige Reichsabgeordnete Tomáš Garrigue Masaryk, der General der französischen Armee Milan Rastislav Štefánik und der Diplomat Edvard Beneš.
 

Für die Suche nach der Identität des neu entstehenden Staates und der Gesellschaft waren symbolische Jubiläen von Bedeutung – der fünfhundertste Jahrestag der Verbrennung von Jan Hus, die nachfolgenden Jubiläen der hussitischen Ära und der eintausendste Todestag des Hl. Wenzel. Alle Jubiläen wurden zu einer Gelegenheit, die größten Etappen der Geschichte des tschechischen Volkes entweder aus der Position des Katholizismus oder der Reformation zu interpretieren. Der Streit unter den Historikern als „Streit um den Sinn der tschechischen Geschichte“ bezeichnet und ließ zu jener Zeit niemanden kalt. Die Suche nach der Identität des Volkes widerspiegelte sich auch in der Suche nach den Wurzeln und der Identität der tschechischen Protestanten, wie die Bezeichnungen der entstehenden Kirchen andeuteten.

 

Neue Kirchen eines neuen Staates

Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) entstand im Jahre 1918 durch den Zusammenschluss der evangelischen Gemeinden reformierter und lutherischer Konfession. Dies war bis dahin ab dem Toleranzpatent nicht möglich gewesen, obwohl wiederholt nach einer Vereinigung rufende Stimmen verlautbar wurden, z. B. während der revolutionären Stürme im Jahre 1848. Mit ihrer Bezeichnung bekannte sich die EKBB zur böhmischen Reformation und zu den Böhmischen Brüdern. Die Vereinigung der beiden Hauptströmungen der europäischen Reformation ermöglichte vor allem ein liberaleres Klima unter den Protestanten, in welchem wechselseitige Konfessionsunterschiede verklangen. Nachfolgend entstanden auch die Hussitische Evangelische Theologische Fakultät und viele weitere karitative Vereine mit der Tschechischen Diakonie an der Spitze. Die deutschen Protestanten gründeten die Deutsche Evangelische Kirche mit dem Hauptschwerpunkt in Nordwestböhmen. 

Die EKBB bot bei ihrer Entstehung den Zusammenschluss auch weiteren protestantischen Christen an, was allerdings von verschiedenen Seiten abgelehnt wurde, z. B. setzten die lutherischen Gemeinden in Nordmähren ihre Tätigkeit selbstständig als Schlesische Evangelische Kirche des Augsburger Bekenntnisses fort. Zugleich entschied sich auch die neu entstandene Tschechoslowakische Kirche für eine eigenständige Existenz. Hinter ihrer Entstehung im Jahre 1920 stand vor allem die ursprüngliche sog. Einheit der katholischen Geistlichkeit, aus welcher der Klub der Reformpriester mit Bemühungen um eine Reform der Kirche hervorging (viele Änderungen genehmigte später das Zweite Vatikanische Konzil). An der Spitze der Einheit und auch des Klubs standen Schriftsteller (Jindřich Šimon Baar) sowie Priester, vor allem Dr. Karel Farský. Als jedoch die Reformisten mit ihren Vorschlägen beim Papst keinen Erfolg hatten, begannen sie an der Entstehung einer neuen Kirche zu arbeiten, die die Triebkraft der sog. Umsteigebewegung mit der Losung „Weg von Rom“ war und sich mit ihrer Ordnung dem Protestantismus näherte. Diese Kirche, die sich als nationale Kirche profilierte, gab sich im Jahre 1971 den Beinamen „hussitisch“. Bereits nach der anfänglichen Formierung spaltete sich von ihr mit der Orientierung auf die reine Orthodoxie Matěj Pavlík ab, der erster Bischof der Prager Eparchie wurde und den Namen Gorazd II. annahm. Bewusst knüpfte er so an die Tradition von Kyrill und Method an.
 

Zur tschechischen Reformationstradition bekannte sich auch die Einheit der Böhmischen Brüder (Jednota českobratrská, früher Freie Reformierte Kirche / Svobodná církev reformovaná und später in Bruderkirche / Církev bratrská umbenannt), die erneuerte Einheit der Brüder (Jednota bratrskáUnitas fratrum) sowie die Brudereinheit der Baptisten (Bratrská jednota baptistů). Aus den USA, woher neue protestantische Strömungen stammten, kamen auch die Siebenten-Tags-Adventisten und die Methodistische Kirche. 
 

Der römische Katholizismus war nach dem Fall der österreichischen Monarchie bemüht, im böhmischen Raum neuen Raum zu finden, was auch viele Schriftsteller und Intellektuelle unterstützten: der Historiker Josef Pekař, die Schriftsteller Jaroslav Durych, Otokar Březina, Josef Florian u. a. Bedeutende Persönlichkeiten unter den Bischöfen waren František Kordač und Leopold Prečan. Bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts stieg das Interesse an der Hinterlassenschaft der Apostel Kyrill und Method, deren Mittelpunkt das Wallfahrtszentrum Velehrad, ein bedeutendes geistliches Zentrum war, das führende Persönlichkeiten des christlichen Europas besuchten.
 

Die während der Ersten Republik entstandenen Kirchen haben vor allem funktionalistische Gestalt – Strenge, geometrische Reinheit der Formen, Geräumigkeit, Luftigkeit, Zweckmäßigkeit. Sie erschienen in den sich dynamisch entwickelnden neuen Vierteln der Großstädte (Prag, Brünn, Pilsen, Zlín) sowie auch in den kleineren böhmischen und mährischen Städten (Louny/Laun, Jablonec n. Nisou/Gablonz). Ausnahmsweise entstanden auch sakrale Bauwerke nach kubistischen Vorbildern (Betlehem-Kapelle der EKBB in Žižkov und das Gemeindehaus und die Kirche der EKBB in Pečky).

Wichtige Termine

1804 – 
Napoleon französischer Kaiser, Napoleanische Kriege/dd>
1813 – 
Napoleon besiegt Leipzig
1815 – 
Napoleon Sieg bei Waterloo (Tausendjähriges Reich)
1825 – 
Aufstand der Dekabristen in Russland
1825 – 
1. Eisenbahn in England
1848 – 
Februar-Revolution in Frankreich, Reaktionen in Österreich, Italien und Deutschland
1861 – 
Krieg zwischen Nord- und Südamerika
1870 – 
Deutsch- Französischer Krieg
1914-1918 – 
1. Weltkrieg
1917 – 
Oktoberrevolution in Russland
1920 – 
Gründung des Völkerbunds (in Genf)
1922 – 
faschistisches Regime in Italien
1933 – 
Hitler wird deutscher Reichskanzler
1936-1939 – 
Spanischer Bürgerkrieg
1939-1945 – 
2. Weltkrieg